Eine Betriebsversammlung im Sturm bei Ford in Köln am 27. November 2024
Ein weiteres Gespräch mit dem Betriebsrat Markus Gluch
Es ist wie die Chronik eines angekündigten Vertrauensbruches: Im Juni, kurz nach der Feier zum Anlauf der Produktion des vollelektrischen Ford-Explorer im Werk Köln mit Pomp und Bundeskanzler Olaf Scholz kommt Sturm auf. Denn da teilte die Geschäftsführung per Mail ihrer Belegschaft mit, dass sie entgegen aller noch 2023 getroffenen Absprachen vorhat, im Spätherbst weitere Abbaupläne zu präsentieren. Bis Ende November herrschte dann bei Ford „die Ruhe im Sturm“ – darüber haben wir berichtet und mit Betriebsrat Markus Gluch hier auf Transformation erzählen gesprochen.
Und am 20. November war es dann soweit: Wieder wurde durch ein Rundmail, von der die Geschäftsführung weiß, dass sie nicht alle Mitarbeitenden erreicht, die Hiobsbotschaft überbracht: Nach den 5.400 Stellen, die in Deutschland zwischen 2018 und 2020 weggefallen sind, und nach den 2020 beschlossenen 4.200 weiteren Stellen sollen jetzt erneut 2.900 folgen – in Köln. Und das erfährt eine Belegschaft, die sich wegen der Absatzschwierigkeiten beim Explorer im Herbst schon auf Kurzarbeit in der Produktion in Köln geeinigt hatte. Viele unter ihnen erfahren es zuerst aus der Presse. Da wundert es nicht, dass diesmal der Bundeskanzler am Tag vor der Betriebsversammlung, in der die Abbaupläne erläutert wurden vor 8.000 Kolleg:innen, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Benjamin Gruschka angerufen hat.
Die Vorzeichen für die Betriebsversammlung am 27. November waren also denkbar schlecht: Der „Deal“, der 2023 geschlossen wurde, soll angeblich weiter gelten: Die Fahrzeugproduktion in Saarlouis schließt Ende 2025, das Forschungszentrum Aachen wird aufgegeben und in Köln werden 2.300 Stellen abgebaut, dafür gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2032. Doch wie soll das möglich sein, wenn schon wieder in Köln zusätzlich tausende Arbeitsplätze wegfallen? Was ist von dem noch in diesem Jahr geäußerten Bekenntnis der neu eingesetzten Geschäftsführung zum Standort Köln zu halten? Ist das eine Salamitaktik anstelle einer für die Belegschaft nachvollziehbaren Strategie für den Bau von PKW?
Auf der Betriebsversammlung war es der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Benjamin Gruschka, der die Aufgabe von Geschäftsführer Marcus Wassenberg, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen „Sanierer“ nannte, übernahm. Während Wassenberg nach einem Pfeifkonzert von 5 Minuten sein Bekenntnis zum Standort wiederholte und ein paar wenige grobe Zahlen von seinem Redezettel ablas, erläuterte danach Gruschka in einer gespenstischen Stille welche Bereiche, Werkstätten, Abteilungen betroffen sind, also auch welche Kolleg:innen die Pläne betreffen würden. Ganze Werke sollen ausgelagert oder verkauft werden. Auch Admin-Bereiche wären betroffen. Niemand im Raum konnte dahinter eine PKW-Strategie erkennen, die Ford in Deutschland dringend braucht. Stattdessen stand deutlich die Frage im Raum: Wird hier ein Sterben auf Raten billigend in Kauf genommen oder gar bewusst provoziert? Die Pressemitteilungen des Gesamtbetriebsrates und die der IG-Metall Köln-Leverkusen sprechen jetzt eine deutliche Sprache: Mit der Betriebsversammlung am 27. November ist der Vertrauensbruch Realität. Der Gesamtbetriebsrat hat dem Management daraufhin ein Ultimatum gestellt: Die Abbaupläne sind nicht verhandelbar! Stattdessen wird bis zum 10. Dezember ein nachvollziehbares, tragfähiges Zukunftskonzept gefordert. Bis dahin will sich der Betriebsrat öffentlich auch an keinen Spekulationen beteiligen, welche Bereiche wie betroffen sein sollen.
Wir wollen daher mit Markus Gluch darüber sprechen, wie er und seine Kolleg:innen diese Betriebsversammlung erlebt haben. Seit 41 Jahren ist er bei Ford, hat hier Werkzeugmacher gelernt. Er kennt hier jede Werkshalle, jede Werkstatt. Markus Gluch war Vertrauensmann von Anfang an, seit 1992 ist er im Betriebsrat aktiv, zwei Jahre war er Vertrauenskörperleiter. Er gehört zu den ganz vielen Kolleg:innen hier, die sich als Fordler:innen sehen – als Menschen, deren Herz an diesem Unternehmen an diesem Standort hängt. Und genau darüber wollten wir reden.
Lieber Markus, jetzt unmittelbar nach der dreistündigen Betriebsversammlung und Eurer erschütternden Pressekonferenz dazu über die Details der Abbaupläne des Managements zu sprechen, macht nach Eurer klaren Ablehnung wenig Sinn oder?
Allerdings. Die Kolleg:innen sind bereits genug verunsichert und auch verletzt davon, wie ihnen da eiskalt unausgegorene Entscheidungen präsentiert werden. Nur so viel: Wir sind als Betriebsrat vorbereitet und wir werden kämpfen. Dazu gibt uns das Betriebsverfassungsgesetz Mittel an die Hand.
Die Unternehmensführung, also auch das europäische Management, bereitet sich bereits auf eine Auseinandersetzung mit dem Gesamtbetriebsrat vor. Zumindest hat Marcus Wassenberg Passagen seiner kurzen Rede als Zitat der Rechtsabteilung vorgetragen. Da ging es darum, dass nach dem 28. Februar keine neuen Abfindungsverträge geschlossen werden einstweilen.
Ja und nein. Ich bin mir nicht sicher, wie das Management uns als Betriebsrat mit unseren Handlungsmöglichkeiten einschätzt. Aber die Abfindungsregelung deutet darauf hin, dass etwas im Busche ist. Wir haben ja nun ganz offiziell die Pläne zurückgewiesen und auch klar signalisiert, dass wir ohne PKW-Strategie, ohne ein Zukunftskonzept auch jede Mehrarbeit ablehnen. Lasst uns nach dem 10. Dezember dazu Klartext reden. Jetzt sollte es erstmal darum gehen, wie hier mit den Menschen umgegangen worden ist.
Benjamin Gruschka hat in seiner scharfen Rede die Sorgen auf den Punkt gebracht: Es scheint, als würde sich Ford in Europa auf die Nutzfahrzeuge konzentrieren und bei den PKW, respektive den E-Autos, nicht nur kaum vermarktbare Modelle entwickeln, denen dann auch kaum Zeit gelassen wird, sich überhaupt im Markt durchzusetzen, sondern auch jede Weiterentwicklung in Köln faktisch lahmlegen. Da kam dann auch Bewegung auf im Publikum. Wie hast Du das erlebt?
Natürlich kam da Bewegung auf. Da saßen schließlich 5.000 Autobauer:innen in der Halle und 3.000 eine Halle weiter vor der Leinwand. Der Autobauer Ford, das sind 12.000 Profis, die hier mit Herzblut an guten Autos arbeiten. Die wissen alle, wann auch schmerzhafte Veränderungen Sinn machen. Sie wissen aber auch, wann sie Ausdruck von einer fehlenden Strategie sind. Sie arbeiten schließlich hier. Das muss man offensichtlich noch einmal deutlich sagen: Ford, das sind die Menschen, die durch ihre Arbeit Ford zu Ford machen. In den Reden, die nach Benjamin kamen, haben das die Kolleg:innen immer wieder deutlich gemacht. Von der Materialbeschaffung über die Produktentwicklung bis zu Marketing und Vertrieb – davon verstehen hier viele Kolleg:innen viel. Deren Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten, deren Wissen und Können – das hat hier mal viel gegolten, auch und gerade in der Arbeitsdirektion. Das ist wohl vorbei. Das hat der Geschäftsführer Marcus Wassenberg deutlich gemacht. Er hat nicht über die Werkstätten und Abteilungen gesprochen – das musste Benjamin tun. Selbst als unser junger Kollege gegen Ende der Versammlung Herrn Wassenberg aufgefordert hat, ihm ins Gesicht zu sehen, uns ins Gesicht zu sehen und auf der Bühne etwas über uns und nicht abstrakt über „den Standort“ zu sagen, passierte nichts. Er hat damit deutlich gemacht, dass er uns für Variablen in einem Rechenspiel hält, das er allein mit dem Management ausmacht. Diese Kälte hat dann trotz allem viele überrascht. Dass Arbeitsbereiche verkauft oder outgescourct werden sollen, dass also auch externe Dienstleister die Arbeit übernehmen sollen, für die wir hier als Kolleg:innen am Standort stehen, das hat viele aus der Fassung gebracht.
So viel scheint klar, Ford Köln soll sich neben Schließungen von Werken, Abteilungen und Bereichen auch durch Outsourcing und Verkäufe verändern. Die Pläne klingen sehr komplex und seit längerem vorbereitet – also nicht erst seit den Absatzschwierigkeiten beim Explorer, die sich im Herbst gezeigt haben. Wie kam das an in der Belegschaft?
Wir haben schon im September auf Transformation erzählen darüber gesprochen: Das zieht ein anderes Verständnis von Sozialpartnerschaft ein. Das war der Kern der Ent-Täuschung. Auf einem Plakat der Kommunikationsabteilung, das an so mancher Halle prangt, heißt es, dass Ford Mitarbeitende „Markenbotschafter:innen“ sind. Daraus hat das Management nun einen Hohn gemacht. Denn die Botschaften der Kolleg:innen, die früher in der Arbeitsdirektion geschätzt waren, dieses Miteinander im Suchen nach den besten Lösungen, die waren ein wesentlicher Teil unserer Erfolgsstrategie als Marke. Und die interessieren offensichtlich nichtmehr. Stattdessen lautet die neue Marken-Botschaft: Die Autobauer, das sind die Top-Manager, die Ansagen machen. Und es geht wenig um die Kund:innen von Ford in Deutschland und Europa. Es geht nicht um die kleinen Leute, die sich wie früher mit einem Ford ein gutes und bezahlbares Auto leisten können. Es geht um Profite für den Konzern. Und die scheint das Management nicht in der Investition in eine nachhaltige PKW-Strategie zu sehen, sondern in der Kostenreduktion. Aber Abbau ist keine Strategie, Abbau macht keine Zukunft.
Das habt ihr nun, wie die Pressemitteilung deutlich sagen, in Bausch und Bogen zurückgewiesen. Ihr wollt ein Zukunftskonzept sehen und ihr wollt darum und dafür streiten! Wie geht es jetzt weiter?
In erster Linie geht es jetzt erstmal darum, auf alle Sorgen unserer Kolleg:innen einzugehen. Wir bieten allen Abteilungen Information und Beratung an. Niemand soll sich allein fühlen. Denn die Managementstrategie scheint genau darauf zu zielen: Die Solidarität unter Kolleg:innen. Wir lassen uns diese US-amerikanische Hire & Fire-Mentalität nicht gefallen. Wir wollen aber auch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Wir wollen den konstruktiven Streit um die Zukunft der PKW-Sparte von Ford zurück. Dabei halten wir uns strikt an die rechtlichen Möglichkeiten, die das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Dafür wollen wir die Reihen schließen, auch um zu verhindern, dass Kolleg:innen ihre Arbeitsplätze gefährden, indem sie ihrer verständlichen Wut durch wilde Streiks Ausdruck verleihen. Ich habe unseren Slogan als Betriebsrat selten so angemessen gefunden wie jetzt: Wir bleiben Ford! Gemeinsam sind wir stark!
Gesamtbetriebsrat der Ford-Werke GmbH
Presserklärung
Betriebsversammlung bei Ford:
Schockierende Einzelheiten zum geplanten Stellenabbau in Köln
Köln, [27.11.2024] – Auf der heutigen Betriebsversammlung erhielt die Belegschaft weitere alarmierende Details über die angekündigten Abbaupläne bei Ford in Köln.
Bis 2027 wird ein drastischer Personalabbau angestrebt, obwohl noch im letzten Jahr mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung geschlossen wurde, die der damalige Geschäftsführer als zukunftsweisend beschrieben hat. Nun sollen trotzdem insgesamt weitere 2.900 Stellen in fast allen Bereichen gestrichen werden.
Besonders besorgniserregend ist die Ankündigung, dass ganze Teilbereiche ausgelagert und verkauft werden sollen. Erneut stehen ganze Abteilungen zur Disposition, deren Fortbestand in der Vergangenheit bereits durch schmerzhafte Zugeständnisse der Belegschaft gesichert wurde.
„Der brutale Abbauplan, den uns die Geschäftsführung vorlegt, gefährdet nicht nur unsere Arbeitsplätze, sondern auch die gesamte Zukunft unsere beiden Standorte in Köln“, erklärt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates Benjamin Gruschka. „Es ist inakzeptabel, dass die Belegschaft erneut durch Einschnitte bestraft wird, ohne dass eine klare und belastbare Perspektive für unsere Zukunft gegeben wird.“
Die Geschäftsführung begründet die Abbaupläne auch mit der aktuellen Absatzschwäche bei Elektrofahrzeugen. Dem widerspricht Benjamin Gruschka: „Der aktuelle Stellenabbau ist vielmehr das Resultat strategischer Entscheidungen, die bereits im Frühjahr 2024 in den USA geschmiedet wurden. Offenbar versucht der Konzern von eigenen Versäumnissen abzulenken. Die Glaubwürdigkeit war seit dem Saarlouis-Prozess schon beschädigt, aber nun hat die Geschäftsführung sämtliches Vertrauen verspielt“. Tatsächlich haben alle Beschäftigten bereits im Juni eine E-Mail des europäischen Managements erhalten, die über den drohenden Abbau in allen Bereichen informierte – noch bevor die neuen Modelle Explorer und Capri überhaupt auf den Markt kamen.
„Wir haben eine gültige Vereinbarung vom Februar letzten Jahres, welche die Belegschaft vor betriebsbedingten Kündigungen schützt. An dieser werden wir festhalten und daher mit der Geschäftsführung nicht über die Details dieses untragbaren Stellenabbaus verhandeln.“, betont Benjamin Gruschka.
Stattdessen stellt er der Geschäftsführung heute ein Ultimatum. Bis zur nächsten Versammlung am 10. Dezember 2024 soll die Geschäftsführung die Abbaupläne zurücknehmen. „Es ist höchste Zeit, dass eine tragfähige Strategie präsentiert wird, die die nachhaltige Zukunft von Ford in Europa und insbesondere in Deutschland sichert.“
Benjamin Gruschka, Vorsitzender Gesamtbetriebsrat/Betriebsrat Ford Werke GmbH
David Lüdtke, Vertrauenskörperleiter Ford Werke Köln
IG Metall Köln-Leverkusen
Pressemitteilung
Köln 27. November 2024
Her mit der Zukunft!
Die Belegschaft hat genug gegeben, jetzt muss Ford liefern
Nach der heutigen Betriebsversammlung ist eines klar, weder die deutsche Geschäftsführung noch das europäische Management hat einen Plan für Ford in Europa. Außer wiederholter Bekundungen, dass der europäische PKW-Markt ihnen wichtig sei, und einer vagen Absicht, die Modell Palette irgendwann wieder hochzufahren, geben sie der Belegschaft keine belastbare Hoffnung auf eine langfristige Perspektive.
„Allerdings wäre es auch fraglich, ob die Belegschaft den womöglich falschen Versprechungen geglaubt hätte“, sagt Kerstin Klein, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Köln-Leverkusen, „denn auch das ist mit der heutigen Versammlung klar geworden, etliche Zusagen aus der im letzten Jahr abgeschlossenen „Ford Future“ Vereinbarung, werden seitens Ford wohl nicht eingehalten. Mit dem Abbauprogramm, das Ford gerne haben möchte, würde aus unserer Sicht einzig und allein die Zerlegung des Standorts Köln beginnen. Das wäre aus unserer Sicht dann ein Sterben auf Raten.“
Was das für die Zukunft der gesamten Region, für Zulieferer, Dienstleister, Kunden bedeuten würde, möchten wir uns gar nicht ausmalen. Vom Bäcker über die Dönerbude, von der Friseurin bis zur Steuerberaterin, es würde wesentlich mehr Menschen treffen als die 12.000 Kolleginnen und Kollegen im Werk selbst. Die kommunalen Kassen, der Wohlstand der Region würden dadurch gefährdet. Köln braucht Ford und Ford braucht Köln.
David Lüdtke, Vertrauenskörperleiter der Ford Werke Köln fordert: „Deshalb muss Ford jetzt ernsthaft ein tragfähiges Zukunftskonzept mit dem Betriebsrat ausarbeiten, gute Ideen dazu haben Kolleginnen und Kollegen aus den Bereichen zusammengetragen. Wenn das nicht passiert, macht es auch keinen Sinn, auf irgendwas zu verzichten, oder einem weiteren Personalabbau zuzustimmen.
Als IG Metall werden wir die Forderungen des Ford Betriebsrates unterstützen und dem Gremium den Rücken stärken. Wir sind gut aufgestellt und erfahren gerade eine große Welle der Solidarität. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir kennen das Instrumentarium in einer solcher Auseinandersetzung und werden nicht zögern der Belegschaft das richtige Ventil zu geben, um ihrer Wut Luft zu machen.“
Wir bleiben Ford! Gemeinsam weiterkämpfen für Köln
David Lüdtke, Vertrauenskörperleiter Ford Werke Köln
Kerstin D. Klein, 1. Bevollmächtigte IG Metall Köln-Leverkusen