TIMO ENTENMANN

DIE BÖSE SAAT

GEHT AUF

Wie die Angst vor Veränderung Menschen in extreme Lager führt. Eine Geschichte aus dem Antriebswerk Mercedes Benz Untertürkheim.

Wir Menschen verändern uns nur aus zwei Gründen: Entweder sind wir zutiefst von etwas überzeugt oder wir bekommen Druck von außen und müssen uns bewegen. Beim Thema Klimawandel und globale Erwärmung haben wir als Menschheit, bis auf wenige Ausnahmen, allerdings viel zu lange nicht reagiert. Naturkatastrophen mussten uns immer wieder und immer stärker auf dieses Problem aufmerksam machen, bis der Druck aus der Gesellschaft erwuchs, der Klimakatastrophe entgegenzuwirken.

Die Politik hat reagiert und unter anderem neue Emissionswerte verankert, die Automobilhersteller zum Handeln zwingen. Der Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge ist daher kein Wandel, der durch neu entwickelte Technologien getriggert wurde. Vielmehr ist er die notwendige Konsequenz der globalen Veränderung unseres Klimas.

Dieser technologische Umstieg – die Transformation – löst Verunsicherung bei den Beschäftigten der Branche aus, weil er ihre vertraute Arbeitswelt vollkommen verändert. Was werden zukünftig meine Arbeitsinhalte sein? Wo werde ich arbeiten? Wie kann ich die neuen Inhalte erlernen? Muss ich wieder bei „Null“ anfangen? Diese Zukunftsängste, die mangelnden Perspektiven und die daraus entstehende Verunsicherung der Belegschaften bieten genügend Angriffsfläche für extreme Lager. Dieser Umstand hat die Betriebsratsarbeit nachhaltig verändert und stellt sie vor neue Herausforderungen: Der IGM Betriebsrat kämpft für den Zusammenhalt der Belegschaft und gegen Halbwahrheiten und gegen Populismus. Die große Gefahr: Die böse Saat der extremen Lager geht auf.

Klimaschutz und Beschäftigungssicherheit unter einen Hut bekommen

Eines der beliebtesten Feindbilder rechter Gruppierungen in der Automobilbranche ist die Abkehr vom Verbrennermotor hin zu einem batterieelektrischen Antrieb. Auch Mercedes-Benz hat sich für seine PKW-Flotte auf den batterieelektrischen Antrieb fokussiert. Hintergrund ist der Wirkungsgrad eines batterieelektrischen Antriebs. Bei den Alternativen zu diesem Antrieb wird für die Herstellung der Energiemedien, wie Wasserstoff oder eFuels, – Stand heute – noch zu viel Energie benötigt. Der schlechtere Wirkungsgrad und der klimaschädliche Ausstoß bei der Erzeugung der Energiemedien disqualifiziert die Alternativen des batterieelektrischen Antriebs.

Auf Grundlage dieser Fakten wurde eine Entscheidung über die zukünftige Antriebsart bei Mercedes-Benz gefällt. Allerdings konnte die Belegschaft nicht komplett überzeugt werden. Tagtäglich werden Diskussionen darüber geführt, warum man nicht auf die ein oder andere Alternative setzen würde. Denn: Mit dem Hintergrund der Beschäftigungssicherung bieten andere Antriebskonzepte eine größere Zukunftssicherheit. Und genau hier entsteht der Konflikt.

Für die Belegschaft von Mercedes-Benz und anderen Automobilherstellern, steht bei der Transformation natürlich besonders der Aspekt der Beschäftigungssicherheit im Fokus. Klimaschutz und Beschäftigungssicherheit unter einen Hut zu bringen, ist derzeit die größte Herausforderung. Bei Mercedes-Benz gilt, dank unseres IGM Betriebsrats, eine Zukunftssicherungsvereinbarung bis 2030. Betriebsbedingte Kündigungen im Rahmen der Transformation sind bis zum Ende des Jahrzehnts ausgeschlossen. In den allermeisten anderen Transformationsbetrieben sieht das anders aus.

Dennoch wird sich auch bei Mercedes-Benz der überwiegende Teil der Belegschaft verändern müssen: Neue Aufgabengebiete, neue Einsatzorte, neue Kolleginnen und Kollegen. Sorge um finanzielle Einbußen, beispielsweise durch Schichtentfall oder Versagensängste bei einer Weiterqualifizierung – all das sorgt bei vielen Betroffenen für Unmut und Frustration. Sie fühlen sich abgehängt.

Vereint in der Antihaltung?

Dieser Zustand birgt eine große Gefahr: Extreme Lager nutzen die Ängste für sich und bieten den Betroffenen einen vermeintlichen Hafen des Verständnisses und der Zugehörigkeit. Sie rekrutieren Menschen über Unsicherheit und Wut. Die Folge: Politische Strukturen werden in Frage gestellt, Feindbilder werden generiert und deren Bekämpfung zum erklärten Ziel ernannt. Äußere Rahmenbedingungen wie eine steigende Inflation fungieren als Brandbeschleuniger. Hier entsteht ein gefährliches Potenzial. Ein Potenzial, das über den Betrieb hinauswirkt. Darum sollte die Gesellschaft an guten Lösungen für die „Transformationsgeneration“ interessiert sein.

Menschen sozialgerecht durch die Transformation begleiten

Wir – die IGM Betriebsräte der Transformationsbetriebe – stellen uns dieser Herausforderung jeden Tag. Wir stehen vor der enormen Aufgabe, alle Beschäftigten sozialgerecht durch die Transformation zu begleiten. Dabei verhandeln wir immer wieder um neue, zukunftsfähige Produkte, die unsere Standorte und unsere mehrere Tausend Beschäftigte langfristig absichern, verteidigen hart erkämpfte Standards und finden gleichzeitig Lösungen für individuelle Probleme. Diese Klaviatur an Themen führt gerade in Großbetrieben zu einem kapazitiven Problem. Schon im „Normalbetrieb“ ist der Betreuungsschlüssel sehr groß. In Zeiten der Transformation benötigen wir definitiv mehr Kapazitäten.

Der Betriebsrat muss sich in solchen Zeiten großer Verunsicherung und Zukunftsangst sehr viel Zeit für persönliche Gespräche und Diskussionen nehmen können. Er muss aber auch über die Gremienarbeit die Zukunft mitgestalten. Der Betreuungsschlüssel nach dem Betriebsverfassungsgesetz wurde für die „normalen“ Betriebsratstätigkeiten erarbeitet. Die zusätzlichen Aufgaben einer Transformation kommen jetzt aber „on Top“ dazu. Das erhöht das tägliche Arbeitspensum enorm. Jedes Gespräch, das wir aus zeitlichen Gründen nicht führen können, treibt – unter Umständen – weitere enttäuschte Menschen in die Arme der extremen Lager. Die Beschäftigten haben Angst. Angst vor der Veränderung. Wenn es uns nicht gelingt, ihnen diese Angst durch Informationen zu nehmen, finden sie im Lager der Extremen auf ein Sammelbecken frustrierter Gleichgesinnter.

Das Mercedes-Benz Werk Untertürkheim besteht aus mehreren Werkteilen. Durch die räumliche Verteilung müssen sich Betriebsräte ganze Tage blocken, um in einem Bereich wirklich wirken zu können. Als beispielsweise eine Prototypenfertigung für Motoren, als einer der ersten Transformationsbereiche, ohne Arbeit dastand, wuchs nachvollziehbar die Unzufriedenheit und Frustration. Der zuständige Betriebsrat blockte sich einen Tag in der Woche, an dem er nur für diese Belegschaft vor Ort war. Zusätzlich gab es natürlich an jedem Tag Termine mit dem Unternehmen, um Lösungen zu finden. Aber ein Tag pro Woche war nur für den direkten persönlichen Kontakt mit den Betroffenen reserviert. Es dauerte Wochen, aber es war die Zeit und Arbeit wert. Für die Beschäftigten wurden gute Lösungen gefunden. Alles lief transparent ab und in vielen Einzelgesprächen ging der Betriebsrat auf die Sorgen und Ängste der Menschen ein. Dieser Bereich war und ist allerdings nur ein Bruchteil des Betreuungsbereiches unseres Kollegen. Der zeitliche Aufwand stand nicht in Relation zur Anzahl der Beschäftigten, die er betreuen darf. In dieser Zeit musste hart priorisiert werden und dass ein oder andere Thema konnte nicht wie gewohnt bearbeitet werden.

Dennoch konnte durch diesen enormen Kraftakt unseres IGM Betriebsrates das extreme Lager hier bei uns nicht Fuß fassen. Soweit die gute Nachricht. Meine Sorgen entstehen beim Blick nach vorne. Wir müssen diese Schlagzahl noch Jahre lang durchhalten!

Überbetriebliche Verantwortung: Die Transformationsgeneration fair mitnehmen

Wir stehen vor einer globalen Klimakatastrophe und die Transformation der Antriebstechnologie ist zweifelslos notwendig. Aber es darf nicht sein, dass die Beschäftigten der Antriebshersteller damit allein gelassen werden – damit würden wir nur die Voraussetzungen für sozialen Sprengstoff schaffen.

Dem Klimawandel können wir uns nur gemeinsam entgegenstellen. Aber genauso müssen wir auch die Herausforderungen und Folgen der Transformation gemeinsam angehen. Die Transformation der Antriebswelt ist ein überbetriebliches, ein gesamtgesellschaftliches Thema. Wenn wir bei dieser Herausforderung versagen, gewinnt der Rechtspopulismus. Das darf nicht passieren! Die Transformation darf keine Verlierer produzieren!