MARKUS GLUCH

DIE RUHE

IM STURM

Nicht nur bei Ford braucht es endlich wieder konstruktiven Streit!

Ein Gespräch mit dem Betriebsrat Markus Gluch

Der Wandel der Autoindustrie ist rasant und in manchen Betrieben wird er auch rabiat – und das potentiell für alle Beteiligten, auch für Manager. Ford ist mit Sicherheit ein solcher Betrieb, der nunmehr seit 5 Jahren rigoros sich im Stellenabbau befindet. Im Jahr 2019 wurden insgesamt rund 12.000 Arbeitsplätze gestrichen, 5.400 davon in Deutschland. Im Februar 2023 kam es zu einer „Umstrukturierung“ – das bedeutete das Aus für die Fahrzeugproduktion für das Werk in Saarlouis Ende 2025, davon 1.000 verbleibende Arbeitsplätze, und die Schließung des Forschungszentrums Aachen sowie einen Stellenabbau von 2.300 Stellen in Köln. Zur Umsetzung brauchte es lange Verhandlungen mit dem Standortbetriebsrat, dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall um Sozialtarifverträge und vieles andere mehr. Im Juni kam nun kurz nach der Feier zum Anlauf der Produktion des vollelektrischen Ford-Explorer im Werk Köln die neue Hiobsbotschaft in Form eine Rund-Mail der europäischen Geschäftsführung, die mitteilt: Es wird eine neue Welle der Stellenstreichungen kommen. Und: Der deutsche „Kapitän“ verlässt in erstaunlich kurzer Zeit das Schiff: Martin Sander, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH und als „General Manager Ford Model e für Ford of Europe“ für die europäische Elektrosparte verantwortlich, wechselt zum direkten Konkurrenten VW.

Unter der Überschrift „Gestern feiern – heute feuern? Kampfansage an die Belegschaft!“ fasst der Betriebsrat die fünf zentralen Punkte der Ansage der Europäischen Geschäftsführung zusammen (Auszug):

  1. Vereinfachen der Management Struktur:

Sie wollen die Managementstruktur, eigentlich also alle (Führungs-)Strukturen der jetzigen Unternehmensgröße anpassen. Zudem soll die Bürokratie weiter abgebaut und Entscheidungen sollen schneller getroffen werden. Im Klartext heißt das: Abbau von Arbeitsplätzen!

  1. Verwaltung, Marketing, Vertrieb und Services effizienter und agiler aufbauen:

Die Komplexität soll reduziert und alle Arbeiten, die nicht zu unseren Kernkompetenzen (Autos entwickeln und bauen) gehören, sollen eingestellt werden. Das öffnet ein weites Feld mit dem Oberbegriff „bauen & verkaufen“. Im Klartext heißt das: zusätzlicher Abbau von Arbeitsplätzen!

  1. Die Produktentwicklung an den Geschäftsprioritäten ausrichten:

Man stellt fest, dass die Produktentwicklung eine der Stärken von Ford ist „überall auf der Welt“. In Europa (nur da??) will man den Bereich jetzt auf den Prüfstand stellen. Im Klartext heißt das: zusätzlicher Abbau von Arbeitsplätzen in den PD-Bereichen über die vereinbarten Ziele hinaus!

  1. Unsere Produktion optimieren und Ressourcen effizient planen:

Man will unsere „industriellen Abläufe“ noch effizienter machen und die Strukturen an den strategischen Prioritäten von Ford ausrichten. Prüfung der Stückzahlen, der Effizienz und des Personaleinsatzes in allen Produktionsbereichen, sowie bei fertigungsnahen Dienstleistungen und Komponenten. Im Klartext heißt das: Abbau von Arbeitsplätzen im Produktionsumfeld durch Verlagerung und Schließung, möglicherweise in der Produktion selbst.

  1. Auf das konzentrieren, was uns stark macht:

Ford Europa will sich nur noch auf das Kerngeschäft konzentrieren, auf die Stärken, die uns „im Markt unterscheiden“. Es sollen Bereiche „ausgelagert“ werden, die nach Auffassung von Ford Europa nicht dazugehören. Diese Diskussion gibt es seit Jahren für verschiedene Bereiche. Ford will jetzt wieder die Diskussion führen, diese Bereiche auszulagern. Im Klartext heißt das: Abbau bzw. Reduzierung von Arbeitsplätzen in vielen indirekten Servicebereichen!

Im Auge des Wirbelsturms – so könnte es einem vorkommen, was da gerade bei Ford in Deutschland los ist. Nach dem Wirbel um die Schließung von Ford Saarlouis und die Stellenkürzungen in Köln sollte eigentlich Ruhe einkehren – zumindest bis Ende 2025. Aber nach der erneuten „Kampfansage“ der Unternehmensführung von Ford im Juni ist erstmal eine andere Ruhe eingetreten. Was da hinter den Kulissen in den oberen Etagen passiert ist und aktuell passiert – darum soll es heute hier nicht gehen. Der Betriebsrat ist fassungslos. Außerdem wären alle Fragen in diese Richtung derzeit eine Aufforderung zum Zunge-Verbrennen. Wir wollen diese eigenartige Zwischenzeit bis zur Verkündung der neuen Zahlen und Pläne der Unternehmensführung nach der Sommerpause dagegen nutzen, um über den Wandel im Umgang miteinander zu sprechen. Es soll also etwas grundsätzlicher ausfallen, unser Gespräch. Im November berichten wir dann hier ganz konkret von einer möglichen Außerordentliche Betriebsversammlung.

Markus, was ist das für eine Ruhe im Sommer 2024 bei Ford in Köln?

Es ist eine absurde Situation: Wir arbeiten hier so, wie man in einer Autofabrik eben arbeitet, und gleichzeitig bereiten wir uns innerlich auf einen Arbeitskampf vor. Es sagt viel, dass bei unserer letzten Betriebsversammlung über eine Mail der europäischen Geschäftsführung gesprochen wurde, während die deutsche Geschäftsführung nicht da war. Nach dem Weggang von Martin Sander und der „neuen deutschen Führungsstruktur“, wie es heißt, verändert sich da etwas ganz Grundsätzliches. Die Konzernspitze führt uns vor, dass wir hier in Deutschland zwar das Betriebsverfassungsgesetz haben und damit als Beschäftigte tarifliche Mitbestimmung, aber eben keine Unternehmensmitbestimmung, im Sinne der Mitbestimmung bei den Fragen, was wo von wem produziert werden soll und kann. Der Betriebsrat kann sich nur mit den Konsequenzen der Entscheidungen eines nicht greifbaren Top-Managements beschäftigen. Es ist das US-amerikanische Modell à la Trump, auf dessen Wiederwahl die Unternehmensleitung in den USA denke ich hofft: Manager verstehen nichts von Mitbestimmung, weil sie es nicht wollen (vielleicht auch, weil sie es nicht sollen). Eine nachvollziehbare Strategie für Deutschland und Europa entsteht dabei nicht. Und das macht diese absurde Ruhe aus in diesem Sommer – apokalyptische Stimmung und Dienst nach Vorschrift.

Was macht das mit den Kolleginnen und Kollegen – wie geht es denen?

Auch das ist absurd: Zum einen sind viele Kolleginnen und Kollegen lethargisch wegen der erneuten Ungewissheit ihrer Zukunft, zum anderen sind sie in einer Art halbem Kampfmodus. Einhellig fragen sie sich: Was machen die da oben? Und Antworten gibt es dann im Herbst, heißt es. Bis dahin signalisiert das Management: Wir tun das, was wir gerade für richtig halten, ohne auf die Konsequenzen für Euch zu achten. Das war hier in Köln über Jahrzehnte anders. Wir haben hier gestritten und wir haben das konstruktiv getan.
Und heute? Kein Streit, Schweigen der Führung vor Ort und eine Rundmail der europäischen Geschäftsführung.

Als Betriebsrat erlebt Ihr bei Ford seit langer Zeit hautnah die vielen Widersprüche der so genannten Transformation der Automobilindustrie. Nach massiven Protesten und in langen und zähen Verhandlungen habt ihr ein Ergebnis erstritten, das von Arbeitgeberseite nun offenkundig nicht als nachhaltig bis 2025 angesehen wird. Verändert sich da gerade nicht nur der Streit unter Sozialpartnern um Arbeitsplätze und Tarife, sondern die Sozialpartnerschaft selbst?

Hier in Köln kann man mit Sicherheit sagen, dass die Sozialpartnerschaft nicht mehr das ist, wie es früher einmal war. Und das Reden über „Transformation der Automobilindustrie“ gehört da vielleicht auch mit dazu. Die meisten Kolleginnen und Kollegen können da wenig mit anfangen. Das ist alles sehr abstrakt. Hire & Fire wie in den USA, Profit machen, koste es, was es wolle – das ist verständlicher und hier auch gerade realer. Das Credo der „Transformation“ – für das Martin Sander nun wahrscheinlich bei VW eintritt – war ja gerade das Miteinander. Beide Seiten mussten und wollten sich miteinander, nicht gegeneinander verändern. Das galt auch für die Umsetzung der neuen PKW-Strategie, nur noch profitable Modelle zu produzieren – weg vom Massenhersteller hin zum profitablen Autobauer. Darauf haben wir im letzten Jahr noch vertraut. Das Vertrauen ist weg. Das ist die Katastrophe. Die neue Qualität liegt darin, dass die Leute den Druck von oben und sozusagen von unten, also aus ihrem Arbeitskontext heraus innerlich spüren. Aber wie sehen die Perspektiven für Kolleginnen und Kollegen aus, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben oder mit Mitte 30 eine Familie gegründet haben?

Es ist ein Paradox: Es gibt in Deutschland ein Überangebot an Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie, vor allem für jüngere Facharbeiterinnen und Facharbeiter, und gleichzeitig kommt im Namen der Flexibilität ganz selbstbewusst eine US-amerikanische Mentalität des Hire & Fire, wie Du sagst, daher. Zeichnet sich da ein neues Menschenbild ab – eine Art Proletarier:in 4.0, der sich trotz guter Arbeitsmarktlage permanent optimieren soll?

Das ist das Traurige: Viele Kolleginnen und Kollegen haben in den letzten Jahren schmerzlich gelernt, dass nicht nur das Unternehmen, sondern auch sie sich verändern mussten. Da waren und sind wir als Betriebsrat ganz dicht dabei, wenn es um Versetzungen, Umschulungen oder neue Ausbildungen geht. Aus Beschäftigten, die Flexibilität bewiesen haben, wird Verschiebe- bzw. Abschiebemasse. Das bereitet mir große Sorgen, die über Ford hinausgehen. Wir haben Fachkräftemangel in Deutschland und besonders in der Automobilbranche, wo für die „Transformation“ viel fachspezifisches Know-how gefragt ist, gibt es viele offene Stellen. Aber Betriebe wie Ford sorgen dafür, dass sich jede und jeder bald einzeln und isoliert um die Zukunft sorgt und Stellenanzeigen liest. Das Ziel dieses asozialen US-Management-Stils liegt in der Entsolidarisierung. Und die fängt meist mit äußerer Lethargie und innerer Wut an. Das ist der ideale Nährboden für die alten Rezepte von rechts und links.

In der Politik gibt es nach dem Schock der Europawahlen in diesem Sommer ja ein ganz ähnliches Phänomen der Ruhe im Sturm: Mit Sorge werden die Landtagswahlen im September erwartet, weil ein Erstarken der Kräfte befürchtet wird, die versprechen, mit einem „alternativen“ Neo-Nationalsozialismus (oder der Umkehrvariante einer Art Sozialnationalismus) die Uhren zurückzudrehen, und Veränderungsanforderungen, wie sie etwa der Klimawandel stellt, aufzulösen. Kommt ein Déjà-vu?

Die entscheidende Frage bei uns ist, ob und wie wir die Leute bewegt kriegen, wieder konstruktiv zu streiten. Das richtet sich in erster Linie an die Geschäftsführung. Aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen ist das nicht immer so einfach – nach all diesen Erfahrungen. Und das ist auch außerhalb der Arbeitswelt der Automobilindustrie so: Der Tarifstreit droht zu einer Art Tariffeindschaft zu werden. Das Erstarken von Randgruppen, wie wir es gerade in der Politik erleben, erinnert in der Tat an die Zeit vor knapp 100 Jahren. Da kommt bei manchen wieder die Sehnsucht nach autoritärer Führung auf und nach Lösungen, die darin bestehen, Probleme zu leugnen. Aber die Lösung von Problemen, die etwa der Klimawandel, die Globalisierung und die Digitalisierung der Industrie bereiten, müssen in einer Demokratie und sozialen Marktwirtschaft erstritten werden, sie müssen konstruktiv erstritten werden. Immer mehr wird das zu einem Streit um die Demokratie und soziale Marktwirtschaft selbst. Also: Nicht nur bei Ford braucht es endlich wieder konstruktiven Streit!