MARKUS GLUCH

GLAUBENSSACHE

BETRIEBSRAT

Kurz nach dem Tag der Arbeit 2023 stecke ich als freigestellter Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter bei Ford Köln wieder mittendrin: Kolleg:innen treiben Sorgen um die Zukunft um. Viele haben auch Angst. Haben wir dieses Jahr eine Vereinbarung erreicht, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2032 gibt, so heißt es aktuell: Arbeitsplätze abbauen, vor allem in der Produktentwicklung. Ausgerechnet, ist das doch letztlich die Zukunft für einen Standort, der sich weiter entwickeln soll. Auch dafür kämpfen wir dieser Tage: Die Produktentwicklung soll in Europa, soll in Köln bleiben. Dazu müssen wir zusammenhalten. Schon immer hat mir das Gänsehaut bereitet: Zusammenhalten und aneinander glauben! Heißt auch: Miteinander glauben an die Solidarität. Deshalb bin ich Betriebsrat geworden. Und Vertrauensperson ist bis heute ein ganz starkes Wort für mich. Aber wie lässt sich auf eine positive, solidarische Weise mit Ängsten und Sorgen umgehen, damit wirklich Vertrauen entsteht und die Angst verschwindet? Das ist eine ganz zentrale Frage, wenn es um Transformation geht, denn unsere Sorgen transformieren sich ja auch mit. Vertrauensleute und Betriebsrät:innen müssen richtige Worte für unterschiedlichste Kolleginnen und Kollegen finden. Die bekennen da jeden Tag Farbe – von Mensch zu Mensch. Auch das gefällt mir in meiner Arbeit. Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen, in der ausgerechnet ich als Atheist etwas über das starke Wort Glaube gelernt habe – von meinen Kolleg:innen.

Vor neun Jahren war das, da gab es einen sehr emotionalen Streit: Kollegen – es waren alles Männer – kamen zu mir und beschwerten sich darüber, dass sie als Muslime nicht wie die Jahre zuvor am Ramadan einen Ort für ihre Gebete haben sollten im Unternehmen. Das hatte es zuvor gegeben, aber ich wusste das damals nicht. Ganz ehrlich hatte es mich auch nicht sonderlich interessiert als Atheist, wann und wie Kolleg:innen beten oder nicht. Nun standen sie vor mir die zornigen Kollegen. Der Wortführer war ganz eindeutig stinksauer. Und: Er war enttäuscht und schien sich nicht ernst genommen zu fühlen in seinem Glauben. Als ich das gemerkt habe, da bin ich wach geworden. Eine ganze Weile später sollte mir klar werden, dass das auch der Anfang unserer heute engen Freundschaft war. Erst war ich dagegen: Zum einen fand ich, dass Beten und Arbeiten nicht zusammengehörten. Zum anderen hatte ich Schwierigkeiten, mich für einen Gebetsraum mit einem Vorbeter einsetzen zu sollen, dessen Sprache ich nicht verstand. Ich war da dann auch ehrlich: „Lasst mich darüber nachdenken. Ich sage Euch Bescheid.“ Dann gingen sie erstmal und ich habe ein Wochenende lang nachgedacht über Glauben, über Religion, Kirchen, Gebetsräume und Gebete. Es war auch der Anfang meiner „Glaubenssache“.

Seit Jahren gehe ich an Weihnachten in die Kirche. Da habe ich mir immer gesagt: Das machst Du wegen der Familie, wegen Deiner Freunde. Nun fragte ich mich: Was heißt das eigentlich? Meine Antwort: Ich glaube, ich mag die Rituale, weil meine Familie sie mag. Eigentlich gehört auch jede und jeder zu meiner Idee von Familie, meine Frau meine Kinder und meine Freunde, mein innerer Kreis sozusagen. Mir ging das aber damals vor allem mit Menschen so, die ihren vor allem christlichen Glauben an Sonn- und Feiertagen außerhalb der Arbeit gelebt hatten. Die haben nicht während der Arbeit gebetet. Aber wollte ich denn nun auf Heiligabend verzichten? Oder wollte ich, dass es meine Freunde oder meine Kinder tun, wenn es ihnen wichtig ist? Das wollte ich nicht! Und dann ging es schnell: Ich wollte meine Kollegen unterstützen. Aber so, wie mein innerer Kreis weiß, dass ich als Atheist bei den Ritualen ihretwegen dabei war, so wollte ich auch bei meinen Kollegen dabei sein. Ich entschloss mich, sie als Gewerkschafter zu unterstützen, der klar wissen will, welche Worte fallen, wenn er sich für etwas einsetzt. So habe ich dann meinen Kollegen vorgeschlagen: Ich organisiere Euch für den Ramadan einen Gebetsraum, und ich spreche auch mit den Vorgesetzen über die Teilnahme am Frühgebet, aber nur unter der Bedingung, dass ich auch den Vorbeter aussuche – den Hodscha.

Und so haben wir es dann auch gemacht und organisiert. Mit dem Hodscha habe ich einen offenen und engagierten Menschen kennengelernt. Und es war dann eine Ehre für mich, dass ich zum Ende des Ramadans, kurz vor dem Zuckerfest beim Gebet dabei sein durfte, wie an Weihnachten eben. Dass das nun auch für mich eine Glaubenssache war, das lag an meinen Kollegen – allen voran an dem Neuen in meinem inneren Kreis. Es war die Bedenkzeit, die ich brauchte. Es waren meine Zweifel, die zum Respekt meiner Kollegen geführt haben. Ich musste mir erstmal selbst klar werden. Und: Für mich war diese Aktion – so wie viele andere auch – eine Erfahrung von Solidarität, nicht von Religion. Meine Kollegen haben gemerkt, dass ich mich für sie interessiert habe, mich damit auseinandergesetzt habe, einen Vorschlag gemacht und das umgesetzt habe – Betriebsratsarbeit eben – eine, an die ich glaube.