TIMO ENTENMANN

Rein in die Kartoffeln,

raus aus den Kartoffeln

Was die Wechselfälle auf dem Weg zur Elektromobilität mit den Menschen machen

Ich bin Betriebsrat geworden, weil es mich interessiert, was Tarif- und Unternehmenspolitik, aber auch Wirtschaftspolitik mit jedem einzelnen Menschen im Betrieb macht. Mit Sorge beobachte ich nun, dass das Hin und Her beim stockenden Wandel hin zur Elektromobilität immer mehr Kolleg:innen überfordert und sie mittlerweile auch krank macht. Und es macht mich wütend, dass wieder einmal die Rechten diese Sorgen und Nöte eiskalt ausnutzen und das Rad zurückdrehen wollen. Beim Daimler sind wir durch viele, auch harte Krisen gegangen und haben gestritten. Aber wir haben zusammengehalten, wenn es darauf ankam. Heute kommt es wieder darauf an. Dafür müssen wir aber miteinander reden – und zwar nicht nur über Renditen!

Offiziell arbeite ich im Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim, aber eigentlich schaff ich beim Daimler! So sagen und empfinden das denk ich noch die meisten in der Belegschaft in diesem Konzern. Der ist kein Familienunternehmen, hat sich aber für uns über Jahrzehnte ganz ähnlich angefühlt. Der Daimler war und ist eine Technologieinnovationsmaschine, die mich begeistert. Wir haben durch unsere Arbeit Maßstäbe gesetzt – immer wieder. Ich bin mit den meisten hier stolz auf diese Tradition, stolz auf Produkte, technologische Lösungen und auf die hohe Qualität und den dahinterstehenden Erfindergeist, für die das Unternehmen und seine Belegschaft stehen. Und worüber reden wir als Betriebsrat jetzt mit dem Management – jetzt, wo der viel gepriesene Weg in die Elektromobilität holprig ist, der Markt für E-Fahrzeuge stockt, die Kaufprämie für E-Autos so weg ist, wie die Infrastruktur an so vielen Orten noch nicht steht? Wir reden in erster Linie über Renditezahlen! Der Finanzvorstand scheint ausgerechnet jetzt wie die wichtigste Instanz. Da wundert es nicht, dass sich immer mehr Kolleg:innen vom Daimler nicht mehr als Teil des Unternehmens wahrgenommen fühlen, sondern in erster Linie als Kostenfaktor. Das ist in Zeiten, in denen sich alle verändern müssen, für beide Seiten ein denkbar schlechtes Signal.

Dreifach unter Druck: persönlich, wirtschaftlich, politisch

Zwei Jahre nach einer weltweiten Pandemie mit Lockdown und massiven Einschränkungen der Grundrechte wird in den Nachrichten über den Ukraine-Krieg und sogar über mögliche Atomschläge Russlands auf Westeuropa ganz selbstverständlich berichtet. Dazu gibt es in Dauerschleife Nachrichten über Trockenheit und Starkregen als Zeichen des menschheitsgefährdenden Klimawandels oder über die Alltäglichkeit rassistischer Gewalt. In diese krasse Überforderung hinein kommen nun die Unsicherheiten, wie es mit dem Daimler weitergeht. In den Jahrzehnten nach 1945 haben die Kolleg:innen hier sicher länger gearbeitet und weniger verdient. Aber sie hatten die Gewissheit, dass es stets weiter und meistens bergauf geht – diese Gewissheit gehörte zur Firmenkultur. Dass der Katalysator mal wirklich für Aufregung gesorgt hat oder gar die Gurtpflicht – das ist heute kaum noch nachvollziehbar. Auf persönlicher Ebene sind das dieser Tage zu viele Überforderungen. Wir müssen gemeinsam neu lernen, damit umzugehen. Einer der schwersten Schritte ist vielleicht der, sich nicht dauernd die alten Zeiten zurückzusehnen.

Auf wirtschaftlicher Ebene macht es vielen von uns Sorge, dass sich die Marke Mercedes Benz einstweilen in erster Linie auf das Luxus-Segment fokussiert. Wir können aber auch Taxi oder Krankenwagen! Und sich als eigenständige Luxus-Marke, die nicht wie zum Beispiel Porsche Teil einer Markenfamilie ist, international zu halten – das bereitet vor allem erfahrenen Kolleg:innen einige Sorgen. Ob es die Batterien sind oder die nachhaltige Innenausstattung – technisch ist und bleiben die Produkte zeitgemäß und hochwertig. Aber die ursprünglichen Pläne, breiter in die Elektromobilität einzusteigen, schienen vertrauenserweckender. Nicht nur der deutsche und internationale Markt haben einen Strich durch solche Pläne gemacht. Das lag auch an enttäuschenden politischen Signalen.

Das Aus für die E-Auto-Kaufprämie und der fehlende Elan beim Ausbau der Ladeinfrastruktur haben auf fatale Weise die Tendenz der Kund:innen verstärkt, wieder zum Verbrenner zurückzukehren. Das Aus des Verbrenners in der EU 2035 scheint dabei so fern wie der Klimawandel. Das Management hat das alles eingepreist und setzt nun nicht mehr wie vorher auf eine umfängliche Elektro-Strategie: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Das hat den Hohn der ewig Gestrigen geweckt.

Der rechte Hohn: Haben wir es Euch nicht gleich gesagt!

Es ist deutlich zu spüren: Immer mehr Kolleg:innen geraten unter Druck, der Krankenstand und auch die Zunahme an schweren Erkrankungen sind besorgniserregend. Das nutzen die Rechten mit einer Hartleibigkeit aus, die ich erschreckend finde. Das Credo: Habe ich Dir nicht gleich gesagt, dass die IG-Metaller auf das falsche Pferd setzen? Klimawandel, alles Lüge – der Diesel soll zurück! So klingt das dann tatsächlich. Man trifft sich auf Heimatfesten und erzählt von der guten alten Zeit. Aber unsere Kinder schauen nicht mehr Pippi Langstrumpf im ZDF, sondern lesen die Nachrichten, die ihnen eine schwere Zukunft voraussagen. Und nicht wenige glauben sogar, gar keine Zukunft mehr haben zu können: Letzte Generation! Und wenn in einer solchen Situation in erster Linie die Renditeerwartungen der Aktionäre erfüllt werden sollen, um dem Daimler die Zukunft zu sichern, dann stimmt es in der Tat, dass es früher besser war. Wer in Zeiten der tiefen Verunsicherung nur über Geld redet, treibt verunsicherte Menschen auch zu den Rechten.

Das Kapital stiftet keine Beziehungen

Ich habe ein Problem mit Ungerechtigkeit: Wenn der Finanzvorstand eine Rendite von 8% versprechen will, dann will ich als Betriebsrat auch einen Tarifabschluss mit + 8% und nicht 7%! Das ist wie ein Reflex. Ich erinnere mich aber auch an das Jahr 2009, als es arg stand um den Daimler und wir uns nach langen Gesprächen auf einen Lohnverzicht geeinigt haben. Aber da hat nicht allein das Kapital die Rollen vorgegeben. Belegschaft und Unternehmensführung haben das Ergebnis selbstbewusst und gemeinsam erstritten.

Das Kapital stiftet keine Beziehungen. Der Daimler hat aber bis heute das Zeug dazu, tragfähige Beziehungen zu stiften. Darauf sollten wir uns wieder besinnen – jetzt.