Ein Weckruf
Ich arbeite bei Bosch in einem „Entwicklungs- und Technologiestandort“ in Leonberg. Wir entwickeln hier, wie es offiziell heißt, „übergreifende, softwareintensive Systeme für zukünftige Fahrzeugarchitekturen und Komponenten der Fahrerassistenzsysteme, und Systeme in PKWs und LKWs, die den Fahrer bei der Fahrt unterstützen. Zum Produktportfolio des Geschäftsbereichs zählen, neben Komponenten wie Umfeldsensoren und Fahrzeugcomputer, auch Fahrerassistenz- und Innenraumbeobachtungssysteme sowie Systeme für das automatisierte Fahren und Parken.“ Aber: Was lange wie Zukunftsmusik klang, ist längst in vielem Standard geworden. Und: Technik ist in der globalisierten und digitalisierten Weltwirtschaft leicht zu kopieren und dann zu einem Bruchteil der Kosten in Niedriglohnländern zu produzieren. Das macht einen großen Teil der Dynamik der so genannten Transformation und Mobilitätswende aus. Darum hat Bosch 2019 z.B. in meinen Standort über 1.700 Ingenieure als junge Talente in den Betrieb geholt, um die Herausforderung anzunehmen. Es sollte, wie es über Jahrzehnte in der Deutschen Automobil- und Zuliefererindustrie Tradition und Praxis war, aus der Entwicklung neuer Produkte zukunftsfähige Technologie und Wertarbeit entstehen. Und genau das scheint mir branchenweit in Frage zu stehen. Wir drohen, die Zukunft zu verpassen, wenn wir es nicht längst schon getan haben. Nun geht es auch bei uns vielerorts um Abwicklung und vor allem junge Kollegen verlieren das Vertrauen und suchen sich neue Jobs. Und wie in der klassischen Produktion in noch viel höherem Maße erhöht sich der Druck auf die, die geblieben sind und sich noch auf eine Jobgarantie verlassen, dabei aber immer unruhiger werden. Und was sind da derzeit die Signale? Untergangsflexibilität statt Solidarität!
Das Management der OEM und großen Zulieferer beherrscht heute in erster Linie im MC Kinsey-Stil Cashflow und Ergebnisse vor Zinsen und Steuern (EBIT) – Produkt- und damit auch Personalentwicklung stehen hintenan. Die Zukunft kommt nicht aus der Belegschaft und den Produkten, die sie entwickelt, produziert, verbaut, wartet und verbessert. Katalysatoren, autonomes Fahren, KI-Systeme? Hinter den Entscheidungen in der Branche steht immer weniger ein Plan. Wir leben in Zeiten, in denen scheinbar jeder auf die Bühne und dort irgendetwas über Transformation erzählen kann. So habe ich vor nicht langer Zeit die Vorführung einer KI-basierten Personalsoftware erlebt, die Firmenangehörige dabei unterstützen soll, sich in einem weitverzweigten Unternehmen mit einer großen Belegschaft zu orientieren. Hat man die datenkluge KI dann nach Kollegen gefragt, hat sie berechtigterweise keine Antwort gegeben und auf den Datenschutz verwiesen, den die Entwickler nicht bedacht hatten. Das ist eines der vielen Beispiele für Produkte, die mit heißer Nadel entstanden sind – Ausdruck einer Perspektivlosigkeit.
„We are Bosch oder we are the best!“, selbst das könnte bald auf chinesischen Park-Piloten – das sind softwaregestützte Assistenzsystemen, die das Auto beim Einparken steuern können – stehen, die wir für 1.000,- Euro, chinesische Anbieter mitunter für 10,- Euro verkaufen. Aber wir wissen doch schon länger, wie der chinesische Staat es mit dem EU-Patentrecht hält! Wollen wir wirklich zuschauen, wie wir vom Cashflow transformiert werden? Wollen wir uns wirklich auseinanderdividieren lassen in die, „die auch zu Tesla gehen können“, und die, die besser mal die letzten Angebote zur Frührente annehmen sollten, weil ihre Erfahrungen nicht mehr gefragt sind und eine Qualifikation sich bei ihnen angeblich nicht rechnet?
Ich mache mir Sorgen darum, dass wir ausgerechnet in der Automobilindustrie hier in Deutschland die Transformation genauso verpassen wie die Solidarität, die es gerade jetzt braucht.