T. Entenmann, A. Salzgeber & J. Schleyer

VOM DRAMA

ZUR GESTALTUNG

Die Betriebsräte Timo Entenmann, Andreas Salzgeber und Jakob Schleyer im Gespräch über Supervision 

Die Transformation der Arbeit geht auch mit einer Transformation der Betriebsratsarbeit einher. Die deutliche Zunahme der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit (Stichwort „Co Management“) sowie die hohe Anspannung und Belastung in vielen Belegschaften haben die solidarische Arbeit im Betriebsrat inhaltlich und vor allem auch emotional erheblich verdichtet. Von morgens bis abends durchgetaktete Tage, von Löscheinsatz zu Löscheinsatz, Hiobsbotschaften, aufgeladene Stimmung, Stress, Bedrückung – so ließe sich das Drama von so manchem Betriebsrat in der Automobilindustrie (wie in vielen anderen Branchen auch) zugespitzt charakterisieren. Nicht umsonst gehen die durchschnittlichen Amtszeiten von Betriebsrät:innen zurück. Und nicht wenige sind aufgrund der Belastung gesundheitlich angeschlagen. In Unternehmen wie Mercedes-Benz (Timo), Rheinmetall (Andreas) und Mahle (Jakob) zeigt sich das in unterschiedlicher Form und zu unterschiedlichen Anlässen – Übernahme, Standortschließungen, Sozialpläne, Umstrukturierungen, Umschulungen sind hier nur einige der Stichworte einer Transformation, die allen Beteiligten viel abfordert. In ihrem Gespräch haben sich die drei Betriebsräte zusammengesetzt, um darüber zu sprechen, wie sie und mit wem sie Entlastung finden, die auch zu konstruktiven Lösungen führt: Supervision. Das doppelt Erstaunliche: Die Probleme und Belastungen scheinen standortübergreifend und auch fast unabhängig von den Anlässen fast gleich zu sein, während der Umgang damit unterschiedlich und individuell ist – drei Betriebsräte, drei Versionen von Supervision.

Da hängen immer ganz viele dran

Das verbindet Jakob, Timo und Andreas: Betriebsratsarbeit endet für sie nicht am Werkstor. Transformieren sich Arbeitsinhalte, Arbeitsplätze und -organisation, „dann hängen da immer ganz viele Menschen dran, die es betrifft“, sagt Jakob. Wird zum Beispiel ein Werk geschlossen, betrifft das ein ganzes Netzwerk von Kolleg:innen und deren Familien und Angehörigen – zum Beispiel auch  Zulieferer oder den Metzger am Ort. Und da für Jakob die Arbeit im Betriebsrat in erster Linie das Übernehmen von Verantwortung für Menschen bedeutet, will er auch das tun, was im Wort Verantwortung steckt: Antwort geben. Und das sind heute ganz oft Antworten, die weit über die Arbeit hinausgehen. Das macht zum einen die Betriebsratsarbeit für Jakob politischer: sich einmischen! Zum anderen wird es aber auch persönlicher, weil es eben immer mehr um persönliche Schicksale geht. In rund 60 Prozent der Gespräche, sagt Timo, geht es um Zukunftssorgen, Ängste und Unsicherheiten, die das Arbeitsleben der Kolleg:innen genauso erfassen wie das Privatleben. „Wir begleiten die Leute.“ Bei so mancher Krisenintervention trägt das für ihn „fast therapeutische Züge“.  „Das geht mal besser und mal schlechter“, betont Andreas – jede und jeder reagiert anders auf Veränderungen und braucht daher auch andere Unterstützung. Das fordert Zeit und hat über die Jahre die Betriebsratsarbeit enorm verdichtet. Da ist auch die Unterstützung innerhalb des Betriebsrates gefordert, betont Andreas.

Es entsteht ein Konflikt in Dir selbst

„Unterstützung unter Freunden“ – so charakterisiert Jakob die Zusammenarbeit in seinem Betriebsrat und führt damit zu einem wichtigen Thema für Betriebsrät:innen: Sie haben viele Rollen – als Arbeitnehmervertreter:in, der/die mit Arbeitgebern verhandelt und zum Beispiel dabei auch an Schweigepflichten gebunden ist, über die Rollen als Kolleg:in, Freund:in oder gar Verwandte/Verwandter. „Da weißt Du, wer die Firma mit welchen Plänen übernimmt, und darfst es noch nicht sagen. Und dann fragen Dich Kolleg:innen, die Du teilweise schon 30 Jahre kennst, nach ihren Arbeitsplätzen, nach einem Sozialplan und so weiter. Die lassen nicht locker“, berichtet Andreas. Damit stößt er bei den anderen beiden Erinnerungen an, die andere Anlässe hatten, aber genau dieses Problem auch betrafen. „Es entsteht ein Konflikt in Dir“, beschreibt Timo diese Situation. Und der hat mit dem Rollenwechsel zu tun, der durch die zunehmende Übernahme von Verantwortung, die man teilweise auch als ein Abwälzen von Verantwortung von Arbeitgebern auf die Betriebsräte bezeichnen kann, zu tun hat. „Da sind wir auf einmal als Person für Kolleg:innen das Problem, sind als Überbringer:innen von schlechten Nachrichten die Schuldigen“. Ob es nun um Sozialpläne, Ergänzungstarifverträge geht oder das Erarbeiten von Plänen zur Qualifizierung – in den Rollen Kolleg:in, Freund:in, Genoss:in werden die drei Betriebsräte dann kaum wahrgenommen, selbst wenn sie sich in diesen Situationen immer auch als solche fühlen. Keinen der drei lässt das kalt. Und: Weder Jakob, Andreas noch Timo werfen ihren Kolleg:innen, die so reagieren, das letztlich vor. Die Belastung und Überforderung in den Belegschaften ist zum Greifen und die Reaktionen in der Regel verständlich. Alle drei berichten davon, dass sie Unterstützung innerhalb des Betriebsrates erhalten – zumindest innerhalb der Gruppe der IG-Metaller:innen. Da darf neben dem Arbeitgeber keine zusätzliche Frontstellung entstehen, betont Jakob. Manchmal braucht es auch Kolleg:innen, die einen dann vertreten und das Gespräch mit jemandem übernehmen, bei dem einem selbst die Distanz fehlt, erzählt Timo. Aber wie kann so eine Distanz entstehen, ohne dass die Solidarität fehlt?

Professionelle Abgrenzung

An der Pinnwand im Betriebsratsraum bei Timo hängt ein Zettel, auf dem in großen Lettern steht: „Professionelle Abgrenzung!“ Die beiden Worte könnte man als Zentrum des Gespräches bezeichnen. Darüber haben die drei am längsten gesprochen. Kolleg:innen müssen sich auf neue Arbeitsbedingungen einstellen, den Arbeitsplatz oder -ort wechseln, haben Sorgen um den Arbeitsplatzerhalt, verlieren ihre Arbeit oder müssen Neues lernen, das sie sich noch nicht zutrauen. Die große Aufbruchsstimmung der Branche, die vielen Potentiale die in den Köpfen und Händen der Kolleg:innen liegen, ihr Ideenreichtum, ihre Solidariät und ihr Engagement – all das erleben die drei auch. Aber die Hauptbelastung der Transformation – so der durchgängige Eindruck – kommt nicht in den Personalabteilungen, sondern in den Betriebsräten an. Das fordert neue Formen der Gesprächsführung. Aber: „Darin sind wir ja nicht geschult“, sagt Timo. Denn um Gespräche unter inhaltlichem, zeitlichem und vor allem psychischem Druck führen zu können, braucht es professionelle Abgrenzung. Und wie schaffen das Timo, Andreas und Jakob? Jeder auf seine Weise.

Supervision: individuell, als Team, kollegial, vertraut, professionell

Bei Rheinmetall ging und geht es hoch her – da haben Betriebsrät:innen die Initiative ergriffen und eine professionelle externe Supervision organisiert, die sowohl Teams als auch Einzelpersonen in Anspruch nehmen konnten und können. Für ihn sind beide Formen der Supervision eine Hilfe. Die Teamsupervision hat für ihn geklärt, wer wo wie im Einsatz ist und wem den Rücken freihalten und Kolleg:innen unterstützen kann. Die individuelle Supervision war dagegen ein ganz anderes Erlebnis: „Wir haben vier Stunden gesprochen. Da habe ich mich ganz persönlich verstanden und bestätigt gefühlt“, sagt Andreas. Er setzt auf so etwas wie eine zweistufige Abgrenzung, wenn er zum Beispiel aus Verhandlungen kommt, über die er seinen Kolleg:innen wegen der Schweigepflicht nur wenig erzählen darf. „Ich versuche schon vorher offen damit umzugehen, dass ich das Wesentliche, zum Beispiel beim Thema Übernahme, noch nicht sagen kann, auch wenn es für meine Kolleg:innen erhebliche Konseqenzen hat. Ich sage das dann ganz klar und die überwiegende Mehrheit gibt sich damit auch zufrieden. Aber es gibt immer einige, die lassen nicht locker. Bei denen braucht es dann die zweite, persönliche Abgrenzung. Dabei habe ich von der Supervision ebenso profitiert wie von der wechselseitigen Unterstützung innerhalb des Betriebsrates“, erzählt Andreas. Für Jakob dagegen kam und kommt die professionelle Distanz vor allem aus der Geschlossenheit seines Betriebsrates im gemeinsamen Auftreten nach außen und der radikalen Offenheit nach innen. Bei jeder Betriebsratssitzung kommt unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes „alles auf den Tisch“ – von persönlichen Konflikten bis zu massiven Belastungen. Alle zwei Wochen kommt der Sozialdienst ins Werk. Und bei ihm holen sich mitunter auch Betriebsratskolleg:innen Rat, auch wenn sie das nicht Supervision nennen. Für Jakob gehören aber auch seine Freunde, Angehörigen und vor allem seine Familie zum Thema Supervision. „Es geht auch darum, es sich einfach einmal von der Seele zu reden“, sagt Jakob. Bereits beim Redaktionsworkshop Transformation erzählen, wo die Idee zu diesem Gespräch entstanden ist, hatte Jakob aus seinem Betriebsratsalltag berichtet und Andreas von den Supervisionen bei Rheinmetall erzählt. Daraufhin hatte sich Timo, als er wieder zuhause war, erinnert, dass der Sozialberatung bei Mercedes-Benz auch individuelle Supervision anbietet. Und dieses firmeninterne Angebot hat er in Anspruch genommen. Die Psychologin, die ihn in seiner Arbeit begleitet, hat ihm ein Werkzeug mit an die Hand gegeben, mit dem er seither gerade scheinbar dramatische Begegnungen konstruktiver gestalten kann.

Werkzeug „Drama-Dreieck“: Über Verfolger:innen, Retter:innen und Opfer

Es stammt aus der so genannten Transaktionsanalyse und ist längst neben der therapeutischen Anwendung auch ein Werkzeug für Coaching und Supervision geworden: das Dramadreieck, das sich der Psychologe Stephen Karpman 1968 aus dem Märchen abgeschaut hat:

Das Drama der Betriebsratsarbeit ließe sich überspitzt so formulieren: Der Arbeitgeber verfolgt das Opfer Arbeitnehmer:in und die Betriebsrät:innen werfen sich als Retter:innen dazwischen. Hört man sich die Ergebnisse der Betriebsratsarbeit der drei an, ist da auch eine Menge dran. Allerdings ist der Clou von Karpmann der, dass jeder Mensch alle der Rollen in sich trägt und sie auch immer wieder zu wechseln versteht. Und so berichtet Timo, dass er auf diesem Wege erkannt hat, dass er ganz oft selbst in die Opfer-Position gerät, wenn er eigentlich versucht Retter zu sein. So manche Kolleg:innen werden, wenn die Stimmung hochkocht, „vom Betriebsrat-Hobber zum Betriebsrats-Mobber“. Da kann eine simple Vermittlung eines Termins beim WD (werksärztlichen Dienst) ins Absurde kippen, wenn Timo dabei erfährt, dass der nachfragende Kollege Dienstag so früh nicht aufstehen will und mittwochs beim Sport ist. Doch wie lässt sich eine solche Provokation absehbarer Konflikte abwenden? Auch da hat die Psychologin vom Sozialberatung Rat: Empowerment, das aus Opfern Geförderte und aus Retter:innen Fördernde macht. Der Verfolger ist dann als Figur raus. Aus dem Drama wird gemeinsame konstruktive Gestaltung und Beteiligung. Mit diesen Werkzeugen aus der Psychologie fällt es mitunter leichter, sich selbst zu beobachten, wenn man ungewollt in die falsche Rolle gerät und sich dann nichtmehr abgrenzen kann. Das haben Timos Erzählungen eindrücklich gezeigt. Aber das Entscheidende sind nicht die Werkzeuge – „der Faktor Mensch“ ist es, sagt Timo, sagen sie eigentlich alle drei.

Faktor Mensch: Füreinander einstehen

Zum Thema Beteiligung erzählt Jakob davon, dass bei Ihnen das Schichtmodell umstrukturiert wird. Das Neue: Nicht der Betriebsrat handelt es mit dem Arbeitgeber aus und vermittelt es dann der Belegschaft, sondern von Anfang an sind die Kolleg:innen, die mitgestalten wollen, daran beteiligt. Das erhöht die Akzeptanz – nicht nur des Schichtmodells. Am Ende läuft es wieder auf die Verantwortung hinaus. Es geht darum, sie zu teilen und füreinander einzustehen. Die Supervision kann dabei eine große Hilfe sein – das hat das Gespräch gezeigt. Das hat sich mittlerweile, wie vor allem Andreas‘ Erfahrung zeigt, in großen Firmen und Konzernen rumgesprochen. Aber nur wenige Betriebsräte haben wie bei Rheinmetall die Möglichkeit, sich eine unabhängige Supervision zu leisten. Aber wenn das die unternehmensinterne Sozialberatung übernimmt, führt das letztlich, wie Timo betont, auch zu Rollenkonflikten.

Eine Forderung an die IG Metall: Unabhängige Supervision ermöglichen

So sind sich zum Schluss alle drei einig: Ein Angebot der IG Metall für eine unabhängige Supervision wäre ein zeitgemäßer Service, der Betriebsrät:innen bei ihrer anspruchsvollen Arbeit unterstützen könnte.