ANNA-LENA ENGEMANN

WANDEL DER ARBEIT:

MENSCHLICHE

UMSTRUKTURIERUNG

Ein Plädoyer für das Miteinander der Generationen

Der Mensch und vor allem der deutsche Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir Deutschen sind sehr bequem, wenn es um den Alltag geht. Der darf sich nicht verändern, denn alles soll seinen gewohnten Gang gehen. Wenn sich dann aber doch etwas wandelt oder schon gewandelt hat, werden viele unsicher oder kriegen sogar Angst. Dabei wird oft übersehen, wie wir vom Wandel auch profitieren. Ich stelle mir das immer so vor, dass viele Leute, als sie das erste Mal eine Kutsche ohne Pferd haben fahren sehen, nicht an die neuen Chancen der Mobilität gedacht haben. Ich denke, die waren erstmal geschockt und dachten: „Schießt das Auto tot!“ Und ich denke, dass das auch etwas mit den Generationen zu tun hatte und hat. Das gilt für ganz viele Bereiche im Alltag – von Lebensmitteln über Mode bis zur Digitalisierung.

Wenn sich etwas wandelt, dann müssen wir uns auch wandeln. Und das fällt nicht jedem gleich leicht. Als Betriebsrätin höre ich dann, wenn es um den Wandel der Arbeit geht, die Forderung nach „personeller Umstrukturierung“. Das meint dann meist betriebsbedingte Kündigung, Versetzung Qualifizierung usw. Was dabei aber oft aus dem Blick gerät, das möchte ich „menschliche Umstrukturierung“ nennen. Damit meine ich, wie wir als Kolleg:innen gemeinsam mit unseren Unsicherheiten, Sorgen und den Momenten der Perspektivlosigkeit umgehen. Diese unterscheiden sich von Generation zu Generation. Als Betriebsrätin mit Mitte 20 denke ich, dass wir als Jüngere nicht nur unsere älteren Kolleg:innen mitnehmen müssen, sondern auch umgekehrt: Wenn wir die Transformation der Arbeitswelt in der Automobilbranche gut gestalten wollen – von der Digitalisierung und Automatisierung bis zu Künstlicher Intelligenz –, dann müssen wir von und mit den Älteren lernen. Sonst fangen wir bei null an.

Ich habe Mitbestimmung immer so verstanden: Wir nehmen als Gewerkschafter:innen, Vertrauensleute und Betriebsrät:innen Anteil an Entscheidungen, die uns direkt betreffen. Wir setzen uns dabei für das ein, was Kolleg:innen brauchen und sich wünschen. Das kann bei einem Kollegen ein behindertengerechter Arbeitsplatz sein, bei einem anderen familienfreundliche Home-Office-Regeln und bei einer weiteren Kollegin eine Qualifizierung, die neue berufliche Perspektiven eröffnet – auch mit Ende 50. Durch die Vielfalt im Betriebsrat erinnern wir unsere Arbeitgeber an Themen, die sonst vergessen werden. Heute geht es längst nichtmehr nur um sichere Arbeitsplätze und gerechte Löhne – das ganz sicher auch. Es geht aber auch darum, wie es den Menschen geht, die da arbeiten – und auch wie es ihren Angehörigen geht. Die neuen Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche sind da ein Beispiel für mich. In Island hat es sich gezeigt und bewährt: Wenn Familienleben, gesellschaftliches Miteinander, zum Beispiel im Ehrenamt, und Job zusammengehen, werden die Menschen produktiver: 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich funktioniert, wenn die Arbeitsbedingungen „menschlich strukturiert“ werden. Davon profitieren auch die Arbeitgeber. Und dann fordern die Leute auch nicht so schnell: „Weg mit den Robotern, weg mit der KI!“.

Für mich ist Transformation in erster Linie Entwicklung. Aber eine dynamische Entwicklung, also nicht etwas, was mit der Zeit schon kommt, sondern dass man sich aktiv an diesen Themen beteiligt. Wir müssen mitbestimmen, da sein, präsent sein, von sich hören machen und aber auch zuhören. Bloß all das, was wir derzeit hören, klingt erstmal wie eine Drohung: Digitalisierung, Automatisierung, KI-Steuerung, Effizienz, Flexibilität. Hier ist die Antwort darauf dann oft alles andere als dynamisch und aktiv: Unsicherheit, Zukunftsangst, Unzufriedenheit, Perspektivlosigkeit, Stress durch Leistungsverdichtung, Nachteile vor allem für älteren Kolleg:innen, bis hin zu Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit. Wie können wir nun die neuen Technologien als Möglichkeiten nutzen, dass Arbeit leichter fällt (zum Beispiel, wenn Roboter schwere und gesundheitsbelastende Arbeiten übernehmen), produktiver wird (weniger verdichtet, durch Digitalisierung entlastet) und mehr Raum lässt für gesellschaftlich dringend benötigtes familiäres und soziales Engagement (Sorgearbeit wie in der Pflege von Angehörigen und Freund:innen)? Die Lösungen liegen – auch in der IG Metall – auf dem Tisch. Aber es hat sich – zum Beispiel bei der Durchsetzung von Mindestlohn und Grundeinkommen – gezeigt: Wir müssen uns menschlich verändern! Solidarität braucht immer wieder neue Strukturen. In der Vergangenheit sind viele Konflikte, von denen nicht wenige auch Generationenkonflikte waren, entstanden, weil nicht oder zu wenig miteinander gesprochen wurde. Die Transformation der Arbeit wird, denke ich, aber nicht ohne eine Transformation der Diskussions- und Gesprächskultur gelingen. Deshalb bin ich Betriebsrätin geworden. Lasst uns reden!